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Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie ich zusammen mit meiner Mutter meinen ersten Computer gekauft habe. Es muss ca. 1997 gewesen sein. 

Ich hörte damals “Wannabe” von den Spice Girls und trug ungefähr 25 kleine Schmetterlings-Clips in den Haaren. 

Wir waren extra früh auf den Beinen, um einen Platz ganz vorne in der Schlange vor dem Aldi zu ergattern. 

Kaum öffneten sich die Türen, stürmten wir hinein – wie die etwa 100 anderen Menschen, die sich an diesem Morgen auf die Jagd nach einem Aldi-Computer machten. 

Es war ein Drängeln und Schieben, Schubsen und Fluchen. Und eine Viertelstunde später standen wir wieder am Parkplatz. Mit einem von den heiß begehrten Computern unter dem Arm.

Aldi war damals eines der ersten Unternehmen, das das Prinzip der Knappheit im großen Stil genutzt hat, um die Menschen in die Läden zu locken. 

Genau dieses Prinzip machen sich heute viele Coaches und Online-Unternehmen zunutze, um dir Kurse, Programme und Dienstleistungen anzudrehen, die du eigentlich gar nicht willst – und die du dann doch kaufst, weil es sich um ein vermeidlich unwiderstehliches Angebot handelt, das so nie wieder kommt. 

Oder?

In diesem Blogartikel geht es darum, warum wir Menschen einen Tunnelblick bekommen, wenn Ressourcen vermeintlich knapp werden, wie du dich davor schützt, durch angebliche Knappheit manipuliert zu werden, und wie du als Unternehmen Knappheit ethisch nutzt.

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Was ist das Knappheitsprinzip?

Lass uns erstmal ansehen, was das Prinzip der Knappheit eigentlich ist:

Das Prinzip der Knappheit ist ein wichtiger Schutzmechanismus, der uns dabei hilft in Zeiten  knapper Ressourcen zu überleben. Tatsächlich hat Knappheit viele Entwicklungen in der Geschichte der Menschheit beeinflusst:

Wenn Nahrungsmittel knapp waren, wurden zum Beispiel in der Gruppe Strategien wie neue Jagd- oder Sammeltechniken entwickelt, um die Überlebenschancen und oft auch den Wohlstand der Gruppe zu erhöhen.

Für den Psychologen Dr. Robert Cialdini, der uns in dieser Reihe noch öfter begegnen wird, ist das Knappheitsprinzip eines der wichtigsten Prinzipien, um Menschen zu beeinflussen und zu überzeugen. Der Urinstinkt, knappe Güter zu begehren, ist eine tief in unserer Psyche verankerte Überlebensstrategie, sagt Cialdini [Persuasion]. 

Auch heute noch spielt das Knappheitsprinzip in bestimmten Situationen wie Naturkatastrophen, oder Pandemien eine schützende Rolle. Die gefühlte Knappheit in diesen Situationen motiviert die Menschen, Vorsichtsmaßnahmen zu treffen und Vorräte anzulegen. Ein gutes Beispiel dafür ist die Klopapier-Krise während der Pandemie. 

Wenn wir das Gefühl haben, wichtige Dinge sind knapp, beeinflusst das nicht nur unser Verhalten, sondern auch die Art, wie wir denken. 

„Durch Knappheit wird der Verstand gefangen genommen“, sagen der Psychologe Dr. Eldar Shafir und der Verhaltensökonom Dr. Sendhil Mullainathan. 

Wenn wir das Gefühl haben, dass nicht genug da ist, sind wir wie in einem Tunnel gefangen. Wir konzentrieren uns nur noch auf die aktuelle Krisensituation und handeln weniger vorausschauend und konzentriert. Denn kluge, langfristige Entscheidungen benötigen mehr Hirnleistung, als in dieser Situation zur Verfügung steht [the Guardian].

Auch im Marketing hat man die Wirkung des Knappheitsprinzips erkannt. 

Um ein Gefühl der Dringlichkeit zu erzeugen und uns zu Impulskäufen zu verleiten, erwecken Unternehmen bewusst den Eindruck, dass ein Produkt knapp ist. 

Ja, dadurch lässt sich der Umsatz steigern. Aber auf Dauer sorgen solche Methoden für 

Misstrauen und Skepsis beim Kunden.

Wer lässt sich schon gerne manipulieren? 

Nur für kurze Zeit: So nutzen Online-Unternehmen künstliche Verknappung

Hier sind einige Beispiele, wie künstliche Verknappung genutzt wird, um Online-Kurse, Gruppenprogramme und Coaching-Dienstleistungen zu verkaufen:

Exklusive Webinare

Der Klassiker schlechthin für gefakte Knappheit sind „exklusive“ Webinare, die garantiert nur einmal so stattfinden und in denen „spezielles“ Wissen geteilt wird, das sonst „garantiert nirgendwo“ auf der Welt zu finden ist. 

Dabei geht es nicht darum, den Kund:innen ein Geschenk zu machen. Meisten geht es darum, Menschen in den Marketing-Funnel zu ziehen und entweder ihre E-Mail-Adresse einzusammeln oder ihnen noch in dem Webinar etwas zu verkaufen.

Seltsam nur, wenn man das Webinar ein zweites Mal besucht und ein Déjà-vu-Erlebnis hat, weil das Webinar in Endlosschleife läuft – inklusive spontaner Kundenfragen. Oder wenn das gleiche Webinar 3 Monate später wieder angeboten wird. 

Zeitlich begrenzte Angebote & Rabatte

Eine weitere Taktik sind zeitlich begrenzte Rabatten oder Sonderangebote für Online-Kurse und Programme.

Das setzt uns unter Druck und gibt uns das Gefühl, wir müssten jetzt SOFORT zuschlagen.

Aus Angst, die wertvolle Gelegenheit zu verpassen, wird schnell gebucht, ohne wirklich über die Kaufentscheidung nachzudenken. Und erst nach dem Kauf wird den Leuten klar, dass der Preis standardmäßig alle sechs Wochen sinkt

Begrenzte Verfügbarkeit

Oft wird damit geworben, dass es nach einem bestimmten Datum nicht mehr möglich ist, sich für einen Kurs oder ein Programm anzumelden.

Dies drängt potenzielle Teilnehmer/innen, sich schnell anzumelden, um ihre Teilnahme sicherzustellen. Auch hier handelt es sich um künstliche Verknappung, wenn das gleiche Programm einige Wochen später wieder angeboten. 

Begrenzte Plätze

Bei Online-Gruppenprogrammen oder Coachings wird gerne behauptet, dass die Teilnehmerzahl begrenzt sei. Man müsse jetzt schnell kaufen, um sich einen der begehrten Plätze zu sichern.

Das klingt exklusiv und nach persönlicher Betreuung.

Komisch nur, wenn man nach dem Kauf feststellt: Es handelt sich um ein großes Gruppenprogramm, bei dem es eigentlich egal ist, ob jetzt 300 oder 350 Leute teilnehmen. Oder du stellst nach dem Kauf fest, dass bei weitem nicht alle Plätze verkauft wurden und der Druck im Vorfeld total unnötig war.

Exklusive Prämien für schnelle Kunden

Um Anreize für eine schnelle Entscheidung zu schaffen, bieten Anbieter von digitalen Kursen oder Coaches gerne zusätzliche Ressourcen, Materialien oder Dienstleistungen für diejenigen an, die sich innerhalb eines bestimmten Zeitrahmens entscheiden.

Diese exklusiven Boni geben potenziellen Kunden das Gefühl, dass es sich hier um eine einmalige Gelegenheit handelt, die so nicht wieder kommt und sie schnell handeln müssen – am besten, ohne groß über ihre Kaufentscheidung nachzudenken. 

Nur: Diese Boni sind selten ihr Geld wert. Oft handelt es sich um lieblos zusammengeschusterte PDFs oder Webinar-Aufzeichnungen – die alles andere als exklusiv sind. Abgesehen davon, dass es schon komisch ist, dass so Leute bestraft werden, die in Ruhe nachdenken, bevor sie etwas kaufen. 

Countdown-Timer

Knappheit kann man auch sichtbar machen. 

Zum Beispiel mit einem Countdown-Timer auf der Verkaufsseite oder in E-Mails. Die tickende Uhr macht deutlich, dass das Ende des Angebots nah ist – und es bald verschwindet. Seltsam wird es immer dann, wenn man beim Aktualisieren der Seite feststellt, dass der Timer wieder von vorne anfängt.

Künstliche Verknappung erkennen und davor schützen.

Das Gemeine an den sieben Prinzipien des Überzeugens von Cialdini ist, dass sie direkt an unsere Urinstinkte appellieren. Deshalb funktioniert künstliche Verknappung so gut. 

Trotzdem ist es möglich, sich gegen diese Art der Manipulation zur Wehr zu setzen.

Der erste Schritt ist, zu verstehen, dass Verknappung eine menschliche Achillesferse ist. Und dann kannst du dir ein paar Strategien zurechtlegen, um dich vor Impulskäufen zu schützen, wenn dir eingeredet wird, du müsstest jetzt zuschlagen – oder du verpasst die Chance des Jahrhunderts:

Skeptisch bleiben

Gehe immer mit einer gesunden Portion Skepsis an zeitlich begrenzte Angebote und exklusive Deals heran. Lass dir Zeit zum Nachdenken und überlege, ob es sich wirklich um ein knappes Gut und eine einmalige Gelegenheit handelt. Oder ob das Ganze nur erfunden wurde, um dich dazu zu bringen JETZT zu kaufen. 

Informiere dich über den Verkäufer

Informiere dich über das Unternehmen oder die Person, die das Produkt oder die Dienstleistung anbietet, bevor du etwas kaufst. 

Suche nach Bewertungen, zum Beispiel auf Google Business, lese Erfahrungsberichte von Personen, die keine geschäftliche Beziehung zu dem Unternehmen haben und achte auf Hinweise zu manipulativen Marketingtaktiken.

Ich werde übrigens immer misstrauisch, wenn nirgendwo negative Bewertungen veröffentlicht werden. Selbst die nettesten, verständnisvollsten und ethischsten Unternehmen machen ab und zu mal einen Fehler.

Kenne deine Rechte

Und was machst du, wenn sich das Angebot nach dem Kauf als Luftnummer entpuppt? 

Informiere dich über deine Verbraucherrechte und über ethische Geschäftspraktiken, die Unternehmen einhalten sollten. Hier sind einige Tipps und Anregungen für den deutschen Markt:

Wiederrufsrecht bei einem Online-Coaching

Copecart und Digistore kündigen

Checkliste: Ist der Coaching-Vertrag sittenwidrig?

Was sind die Alternativen?

Sieh dich nach Alternativen um und vergleiche verschiedene Angebote.

Was kostet beispielsweise ein Coaching oder Training zu diesem Thema, wenn du es nicht online, sondern bei einem lokalen Anbieter buchst?

Diese Informationen helfen dir, eine sachlich fundierte Entscheidung zu treffen und verhindern, dass du dich durch geschickte Marketingtaktiken zum Kauf drängen lässt.

Hör auf deine Intuition

Dein Bauchgefühl ist immer ein guter Ratgeber. 

Wenn dir ein Angebot verdächtig vorkommt oder wenn es dir zu gut erscheint, um wahr zu sein, dann ist es das wahrscheinlich auch. 

Höre auf deine Intuition und halte dich von Angeboten fern, die Zweifel aufkommen lassen oder die danach riechen, dass du hier durch künstliche Verknappung zu einer Entscheidung gedrängt werden sollst. 

Diese Strategien unterstützen dich dabei, dich sicher in der Welt der Online-Kurse, -Programme und -Dienste bewegen und Kaufentscheidungen zu treffen, die wirklich deinen Bedürfnissen und Zielen entsprechen.

Gehe achtsam mit deinen Kunden um: ein Plädoyer für Online-Händler/innen

Und zu zum Schluss will ich noch an Online-Unternehmer:innen, Coaches und Selbständige im Netz appellieren: 

Wenn Knappheits -Taktiken missbraucht werden, hat das sowohl für die Kund:innen und als auch für Unternehmen unangenehme Konsequenzen.

Du arbeitest am Ende mit Menschen zusammen, die sich nicht aus freien Stücken für die Zusammenarbeit mit dir entschieden haben, sondern die du in diese Richtung manipuliert hast

Und du setzt mit solchen Methoden langfristig deinen Ruf als Unternehmer:in aufs Spiel.

Und wenn es sich tatsächlich um ne knappe Sache handelt?

Echte Knappheit gibt es natürlich:

  • Es gibt Veranstaltungen, die nur einmal stattfinden. 
  • Es gibt exklusive Programme, die nur in einem sehr kleinen Kreis unterrichtet werden.
  • Es gibt Anmeldefristen.
  • Und es gibt begrenzte Angebote

Die Frage ist nur, ob die Knappheit echt ist, wie du sie kommuniziert und ob du deinen Kunden die Freiheit lässt, Nein zu sagen – ohne dabei das Gefühl zu haben, der letzte Looser zu sein. 

Die (aus meiner Sicht) wichtigsten Punkte habe ich in dem Artikel Überzeugen vs. Manipulieren noch einmal zusammengefasst.

Fazit

Verantwortungsvolles Marketing trägt positiv zur Glaubwürdigkeit des Unternehmens und der Marke bei. Es schafft Vertrauen und fördert langfristige Kundenbeziehungen. Für mich nicht nur eine Frage der Ethik, sondern ein wichtiger Pfeiler für nachhaltiges Unternehmenswachstum.

Ich finde das Thema künstliche Verknappung tatsächlich auch nicht so einfach. Diese Marketing-Strategie steckt tief in mir drin und wird an allen Ecken und Enden genutzt. Es ist eine Herausforderung, achtsam und ethisch mit diesem Marketing-Instrument umzugehen. Aber aus Respekt vor meinen Kunden stelle ich mich gerne dieser Herausforderung.

Hier findest du weitere Blogartikel aus der Reihe „Schöner Schein“

👉 Herzlich willkommen: warum ich diese Reihe mache

👉 Manipulation durch Künstliche Verknappung

👉 Wie du im Netz echte Expert:innen von Hochstapler:innen unterscheidest